Was bei der Lektüre dieser Texte sofort ins Auge springt, erstaunt, ja befremdet, ist ihr – wie sagte man früher? – „hoher“ oder „tragödienfähiger“ Ton. Schon auf der ersten Seite ist vom „Verlassen der heiligen Heimat“ die Rede, vom „Wißbaren aus unserem Leben“, von den „Himmlischen“ und einem Land, „liebreicher als dieses“: Vokabular und Syntax aus den Klassikerübersetzungen des 19. Jahrhunderts! Wären da nicht schon bald die vertrauten Kalauer und Jelinekschen Teekesselspielchen, mit denen Land „betreten“, im nächsten Satz aber „betreten“ herumgestanden wird, während man ein „Papier“ übergibt, obwohl man keine „Papiere“ vorweisen kann usw.: man wähnte sich in einer antiken Tragödie. Kein Zufall, gewiss, denn dieser antikisierende Sound hat eine klare Funktion. Besonders im ersten Text dieses schön gestalteten Sammelbands, dem bereits als Hörbuch und DVD publizierten, an Aischylos angelehnten und in den letzten Jahren vielfach aufgeführten Theaterstück „Die Schutzbefohlenen“ (Uraufführung 2014), entfaltet sich dieses Pathos mit voller Wucht. Doch dieser Rückgriff auf abendländisches Kulturgut ist bei Jelinek alles andere als ein bildungsbürgerlicher Wink mit dem allgemein Menschlichen. Es geht nicht um Überhöhung und auch nicht um intertextuelle Spielereien. Vielmehr geht es darum, Gegenwärtiges ins grelle Licht von Historie und Mythos zu tauchen, die Tagespolitik der eigenen Epoche aus einer – fingierten – historischen Distanz zu beleuchten, um das Ungeheuerliche unserer Gegenwart als geschichtliches Ereignis zu begreifen. …
Eine Rezension von Sabine Haupt
gelesen von Marlisa Thumm
Den Text zur Rezension finden Sie hier.
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